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In eigener Sache: Ich habe Depressionen
Larena Klöckner schreibt in diesem Text von ihrem Leben und Arbeiten als Journalistin mit Depressionen, über Druck, Ängste und Herausforderungen.
Holen Sie sich Hilfe, wenn Sie Depressionen oder suizidale Gedanken haben! Zum Beispiel, ganz unkompliziert, bei der Telefonseelsorge unter 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 – oder bei anderen Beratungsstellen.
In eigener Sache: Ich habe Depressionen.
So oder so ähnlich könnte er aussehen, der wohl persönlichste Post von mir als Journalistin. Mit dem zur Phrase gewordenen „In eigener Sache“ würde ich das erfüllen, was von jungen Journalist:innen heute erwartet wird: Selbstvermarktung. Am besten auf Twitter, Instagram oder LinkedIn – eigentlich auch egal, Hauptsache, die Reichweite stimmt. Mit „Ich habe Depressionen“ riskiere ich als Journalistin, die auch frei arbeitet, bald weniger ernst genommen zu werden. Aber gleich vorweg: dieser Text ist kein Klagelied, sondern vielmehr der Versuch einer Bestandsaufnahme.
Statt selbst zu tweeten, scrolle ich durch die Timelines und lese von all den Erfolgen und neuen Jobs der anderen Journalist:innen. Ich freue mich für sie. Meistens. Manchmal aber verharre ich ungewollt. Dann schießen mir – noch bevor die Freude ihren Weg zu mir finden kann – ganz andere Gefühle durch den Kopf: Druck, Versagensängste und Hilflosigkeit. Sie alle gehen Hand in Hand, meine Depression nimmt sie freudig in Empfang, umschließt sie fest und sorgt dafür, dass ich mich wertlos fühle.
Die Autorin
Larena Klöckner arbeitet als freie Journalistin für diverse Medien und als studentische Mitarbeiterin beim „Tagesspiegel“. Sie studiert einen politikwissenschaftlichen Master an der Freien Universität Berlin und ist Journalistenschülerin am ifp in München.
Mein persönlicher Wert hängt nicht von meiner Karriere als Journalistin ab, versuche ich mir zu sagen. Nicht davon, wie gut ich mich nach Außen vermarkte, oder ob ich zu jedem Thema gleich eine Meinung habe. All das weiß ich eigentlich. Ich habe es in den vielen Jahren Therapie und in den etlichen Stunden mit Therapeut:innen oft gehört. Nur hilft das wenig, wenn sich das Gefühl des unaufhaltbaren Drucks und das „Ich bin nicht genug“ täglich bis ins Mark zu einem durchbohrt. Und man einen Job liebt, der das Ganze noch befeuert.
Kein Social Media, keine Sichtbarkeit, keine Aufträge
Ich selbst habe auch mal „In eigener Sache“-Tweets abgesetzt. Aber eben nicht im Zusammenhang mit meinen Depressionen. Schließlich bin ich Journalistin. Und als diese habe ich zu funktionieren. Es ging um einen neuen Job. Also tat ich das, was alle tun: Schrieb, dass ich mich freue. Und erhielt schnell Rückmeldung: „Glückwunsch zum neuen Job“, stand da. Ich tippte „Ich freue mich auf die Zeit“ in mein Handy, bevor mich die Sinnlosigkeit dieser Nachricht übermannte. Ich legte mich ins Bett. Mitten am Tag. Die Depression hatte gewonnen. Aber immerhin nicht öffentlich. Immerhin nicht auf Twitter.
Das kommt nicht selten vor, sowohl das Vergleichen als auch das Im-Bett-Liegen. Die Notwendigkeit einer ständigen Präsenz auf Social Media ist etwas, das mich als Journalistin mit Depressionen manchmal besonders anstrengt – gerade in schlechten Phasen. Weil es bedeutet, auch nach der Arbeit zu funktionieren, auf sozialen Medien mitzureden und nicht die nötigen Pausen zu bekommen, die man gerade eigentlich bräuchte.
Natürlich: Handy ausschalten, Accounts deaktivieren, das sind alles Möglichkeiten. Doch für junge Journalist:innen eben keine guten. Schließlich muss man, so scheint es, dort präsent sein, um in der Branche gesehen zu werden. Sichtbarkeit bedeutet Einfluss und Einfluss bedeutet mögliche Jobs. So ist es etwa bei fast allen Medienhäusern bereits gang und gäbe, Social Media-Kanäle bei Bewerbungen mit einzufordern oder aktiv nach solchen zu suchen, sobald eine Bewerbungsmappe im Posteingang landet.
Journalist:innen haben so schon einen zweifelhaften Berufsethos
Ich habe Depressionen. Und bin der Meinung, dass darüber im Journalismus mehr gesprochen werden muss. Nicht etwa, weil ich mir anmaße, zu sagen, dass es eine depressive Person im Journalismus schwerer als in anderen Berufen hat. Darum soll es nicht gehen. Vielmehr darum, die täglichen Herausforderungen in einer Branche zu zeigen, die Auszeiten nicht vorsieht und Überarbeitung etwa in Form von möglichst vielen und oft unbezahlten Praktika quasi voraussetzt. Zumindest, wenn man mithalten will und zeigen möchte, dass man für den Job brennt.
Womit man schon bei der sogenannten Work-Life-Balance angekommen wäre. Die in einem gesunden Maß zu halten, wird meiner Meinung nach besonders mit den prekären Arbeitsbedingungen im Journalismus erschwert. Denn über die eigenen Grenzen zu gehen, gehört zum Alltag von Journalist:innen dazu, wenn sie sich etablieren wollen.
Das zeigte erst der neueste Fall beim „Katapult“-Magazin. Chefredakteur Benjamin Fredrich romantisierte in einem „Zapp“-Bericht die Überstunden seiner Redakteur:innen, die nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine tage- und nächtelang in der Redaktion arbeiteten. Diejenigen, die auf ihre Grenzen geachtet hatten, wurden als keine „intrinsischen“ Journalist:innen abgestempelt.
Man hört oft von solchen Beispielen. Vor allem die Corona-Pandemie und die besondere Nachrichtenlage der vergangenen Monate haben gezeigt, dass zusätzliche Nachtschichten und Extrastunden vielmehr erwartet werden, als dass sie etwas Außergewöhnliches darstellen. Doch nur in den seltensten Fällen ist ein Kamerateam dabei. Die Beispiele skizzieren Konturen eines zweifelhaften Berufsethos: Überstunden, spontane Wochenenddienste, ständige Erreichbarkeit – all das ist ohne Depression schon herausfordernd und ungesund genug.
Gerade als junge Journalistin mit Depressionen lässt mir die Branche kaum Zeit für Pausen, selbst wenn sie gesundheitlich wichtig wären. Keine Zeit, um etwa einen notwendigen Klinikaufenthalt einzuplanen. Drei Monate lang keine Arbeitsproben liefern? Aufträge als Freie absagen? Für mich als junge Journalistin eigentlich nicht realisierbar. Und wenn ich „jung“ in diesem Zusammenhang schreibe, muss ich mit knapp 26 Jahren schlucken. Bis wann gilt man noch als jung? Und wieso ist das eigentlich so entscheidend?
„Eine Branche, die Lebensrealitäten von psychisch erkrankten Menschen nicht mitdenkt“
Das Alter der Autor:innen scheint im Journalismus immer wichtiger zu werden. Es gibt Autor:innentexte, die nicht selten mit „Jahrgang xy“ beginnen. Jugend wird zum Teil der Selbstvermarktung. Es gibt Auszeichnungen für besonders junge Talente wie die „Top 30 bis 30“ des „Medium Magazins“. Ich finde es gut, dass man für besondere Leistungen in jungen Jahren wertgeschätzt wird. Doch es löst auch einen immensen Druck aus. Denn psychische Krankheiten nehmen oft viel Zeit in Anspruch. Zeit, die dann fehlt, um im Journalismus aufzufallen. Dieser Druck ist es, der eine Branche charakterisiert, die Lebensrealitäten von psychisch erkrankten Menschen häufig nicht mitdenkt.
Seit ich 17 Jahre alt bin, bin ich in Therapie. Meine erste Sitzung liegt also schon über acht Jahre zurück. Acht Jahre mit verschiedenen Diagnosen und Krankheitsbildern. Meinen achtzehnten Geburtstag habe ich nicht mit einer rauschenden Party, sondern in einer stationären Einrichtung gefeiert. Ohne Klinikaufenthalte wäre es mir vermutlich nie möglich gewesen, überhaupt mein Abitur zu schaffen. Und auch an der Uni ist nicht an Regelstudienzeit zu denken.
„Wenn ich nicht schreibe, bleibt das Geld aus“
Mit dem journalistischen Arbeiten habe ich daher erst später begonnen als viele andere. Und immer wieder längere Pausen gebraucht. Ich bin dankbar dafür, dass ich mit Mitte zwanzig dort stehe, wo ich stehe. Doch vielen talentierten Personen mit Depressionen bleibt dieser Weg leider verwehrt.
Und wiederum anderen geht es genauso wie mir, wie ich aus Gesprächen mit Kolleg:innen weiß. Viele Journalist:innen arbeiten frei, etwa nach einem Praktikum oder neben dem Studium. So ist es bei mir auch. Das Arbeitsverhältnis als Freie ist für Personen mit psychischen Erkrankungen aber oft sehr belastend. Denn: ich kann mich auch in akut depressiven Phasen nicht krankschreiben lassen. Wenn ich nicht schreibe, bleibt das Geld aus.
Man kommt in eine enorme Drucksituation. Etwa, weil ich Fristen nicht einhalten kann und Aufträge absagen muss. Ich habe durch die freien Aufträge meist nicht einmal die Chance, meine Arbeitgeber:innen von sonstigen Qualifikationen zu überzeugen. Schreibe ich nicht, bin ich im schlimmsten Fall raus.
Depression wird mit Leistungsunfähigkeit gleichgesetzt
Offen über meine Depressionen als Journalistin zu schreiben, macht mir Angst. Denn ich mache mich angreifbar. Angreifbar in einem Beruf, in dem ich nicht nur für meine Arbeiten angefeindet werde, sondern oft auch für meine bloße Existenz. Hassnachrichten, Bedrohungen, all das gehört zum Alltag von Journalist:innen dazu. Ich habe Angst davor, dass meine Arbeit weniger ernst genommen wird – dass ich weniger ernst genommen werde.
Und diese Angst bleibt auch dann bestehen, wenn ich den Blick aus dem Internet raus und hinein in die verschiedensten Redaktionen richte. Denn Depressionen sind eine Krankheit, über die viele wenig wissen. Zu wenig. Zumindest darüber, wie die Krankheit wirklich ist.
Ich kann hier nur über meine Depressionen und meine Erfahrungen mit der Krankheit schreiben. Und nur über einzelne Facetten. Doch was ich in all den Jahren immer wieder gelernt habe, ist, dass Depressionen von den meisten mit Unproduktivität gleichgesetzt werden. Damit, nicht leistungsfähig zu sein.
So einfach ist das jedoch nicht immer. Ich kann Praktika absolvieren, Texte schreiben und nebenbei noch studieren. Die Frage, die man sich jedoch stellen sollte, ist, wie es mir geht, während ich all das schaffe. Während Artikel von mir erscheinen und ich Erfolge feiern könnte. Die Antwort ist ebenso kurz wie ernüchternd: nicht gut, meistens jedenfalls.
Depressionen sind in Redaktionen ein Tabu
In fast jeder noch so depressiven Phase schaffe ich es, Leistung zu bringen. Doch all das sehen die Menschen nicht, wenn sie hören, dass ich depressiv bin. Und diejenigen, die nicht von der Depression wissen, sehen wiederum nicht, wie schwer mir der Alltag oft fällt. Wie viel Leid, Selbsthass und Verzweiflung mich abends übermannen, mich lähmen. Wie ich es zwar schaffe, unter Tränen einen Text abzugeben, dafür aber die nächsten zwei Tage so erschöpft bin, dass ich nur noch schlafen möchte. Es kaum schaffe, aus dem Bett zu steigen. Es fällt schwer zu sehen, wie es depressiven Menschen wirklich geht.
Und das, obwohl laut Zahlen der Deutschen Depressionshilfe etwa jede:r fünfte bis sechste Erwachsene im Laufe seines oder ihres Lebens einmal von einer Depression betroffen ist. Frauen erhalten doppelt so häufig eine Depressionsdiagnose wie Männer. Bei queeren und marginalisierten Personen liegen die Zahlen sogar wesentlich höher. Trotzdem wird in den Redaktionen kaum darüber gesprochen, die Erwähnung der Krankheit wird als Tabu wahrgenommen. Als Tabu, obwohl – rein statistisch – viele Menschen und damit auch Journalist:innen mit Depressionen zu kämpfen haben. Sie werden von den Mechanismen der Branche gezwungen, ihre Fassade aufrechtzuerhalten. Sie werden gezwungen, zu funktionieren.
Warum ich diesen Text schreibe? Nach all den gemischten Gefühlen, die ich mit meiner Liebe zum Journalismus verbinde, gibt mir vor allem eins Zuversicht: Gespräche mit Kolleg:innen. Jeder Austausch über mentale Gesundheit und psychische Erkrankungen. Jedes Eingeständnis darüber, an die eigenen Grenzen zu kommen. Jeder Moment, in dem im kleinen Kreis ein so großes Tabu gebrochen wird. Jedes verständnisvolle Nicken. Sie geben mir Kraft und zeigen mir, wie gut es tut, Dinge an- und auszusprechen. Deshalb habe ich diesen Text geschrieben. Um dazu beizutragen, dass Depressionen kein Tabuthema mehr in der Redaktion sein werden. Um in den Austausch zu gehen. Und um allen betroffenen Kolleg:innen zuzunicken.
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